Mittwoch, 4. April 2012

Grail: Mondforschung für die Schule - leider "nicht befriedigend"


Die NASA verbindet mit der GRAIL-Mission Grundlagenforschung mit Öffentlichkeitsarbeit an den amerikanischen Schulen. Die beiden Grail-Sonden umkreisen den Mond und messen dabei durchgehend ihre Entfernung untereinander sowie die Entfernung zur Erde. Dadurch kann man Gravitations-Anomalien des Mondes sehr exakt entdecken, weil sich durch eine solche Anomalie die Position einer der beiden Satelliten minimal verändert.  Und insgesamt kann man so Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des Mondes - auch unterhalb der Oberfläche - ziehen.

 Künstlerische Darstellung der beiden Grail-Sonden. Quelle: NASA/JPL-Caltech/MIT

Nebenbei haben beide Sonden jeweils vier Kameras, die den Mond aufnehmen. Diese Kameras werden MoonKAM (Moon Knowledge Acquired by Middle school students) genannt und der Name sagt schon, für was sie benutzt werden sollen - Mittelstufenschülern Wissen über den Mond zu vermitteln.

Das klingt schon mal sehr toll und lobenswert. Schulklassen dürfen einen Bereich des Mondes auswählen und die MoonKams der Grail-Sonden liefern die Bilder für den Unterricht in einer Galerie. So war ich schon sehr gespannt, wie die ersten Bilder denn aussehen, denn von den Kameras selbst ist auf den NASA-Seiten und sogar auf der extra eingerichteten Projektseite kaum eine "harte" Information zu den verwendeten Kameras zu finden. Das ist seltsam, denn normalerweise will der Hersteller ja mit der Leistungsfähigkeit seiner Gerätschaften angeben und die Wissenschaftler brauchen die Spezifikationen um die erhaltenen Daten bewerten zu können.


Nun sind die ersten Bilder da, und - ehrlich gesagt - ich finde sie etwas enttäuschend.

 Eins der besseren Bilder von Grail, um 90° gedreht, damit es hier im Blog nicht (wie sonst meistens) verkleinert sondern in Originalgrösse (!) dargestellt wird. Quelle: Grail Moonkam Homepage, Bild #9568

Warum ich so enttäuscht bin, das werde ich noch schreiben. Jetzt schreibe ich erstmal was zu den verwendeten Kameras. Denn wenn man nichts offizielles über die Kameras erfahren konnte, so sprechen die Bilder eine deutliche Sprache. Es handelt sich offenbar um VIDEO-Kameras im amerikanischem NTSC-Format. Das ergibt sich aus dem Format der Bilder: 720 Pixel breit und 480 Pixel hoch und auf Nachfragen bei der NASA hat man mir das inzw. auch bestätigt, dass es sich um NTSC-Bilder handelt.

Video-Kameras für Einzelbilder?

In den Pioniertagen (siehe hier) war es noch verständlich, denn nur Videokameras lieferten ein elektronisches Bild, das man per Funk versenden konnte. Aber heute? Niemand auf der Erde würde auf die Idee kommen, Portraitfotos mit einer Video-Überwachungskamera zu machen. Jeder, der eine halbwegs bessere Digitalkamera hat, kennt das. Im Foto-Modus macht die Kamera - unterstützt durch Automatik-Programme und Filter - tolle Bilder. Im Video-Modus  wird´s im Vergleich dazu matschig und wenn sich viel bewegt, schlägt die Videokompression erbarmungslos zu. Solche Effekte wie "Interlace" (aka Zeilensprungverfahren) in Videos, die auf die Bedürfnisse uralter Röhrenfernseher zurückzuführen sind und in heutigen Videostandards noch existieren, sorgen für horizontale Streifen bei schnellen Bewegungen. Diese uralten "Notkrücken" aus Röhrenfernsehtagen werden in den gültigen Standards heute noch als Grundlage mitgenommen, obwohl die Technik schon längst darüber hinaus ist.

Nun wo es klar ist, dass es sich wohl um Videokameras handelt, galt es herauszufinden, was diese können und was nicht. Der Hersteller "Ecliptic Enterprises" stellt vor allem so genannte "RocketCams" her, das sind Videokameras die man an Raketen und den Shuttle (und auch an Flugzeugen oder Waffensystemen) anbringt, um Bilder vom Start zu übertragen und zu sehen, ob sich die Booster ordentlich abtrennen, ob die Stufentrennung klappt und die Steuerdüsen funktionieren. Da macht es auch Sinn, Videokameras zu verwenden, denn man will ja "live" sehen, was mit der Rakete gerade passiert und diese Bilder sind für den Zuschauer einer Übertragung natürlich die optischen Highligths.

Typische Anwendung einer "Rocketcam" - Live-Übertragung der Manöver während eines Raketenstartes: Video des Herstellers Eclipse-Enterprises auf YouTube


 Die "Rocketcam" und wie sie in Raketen verbaut wird - Werbebilder des Herstellers Eclipse Enterprises


 Die Vier Kameras einer Grail-Sonde. Im Hintergrund ist das Videoübertragungssystem Quelle: NASA

Tatsächlich, die "Rocketcams" sehen genauso aus wie die Kameras, die in Grail verarbeitet wurden.


Im Datenblatt (PDF 110 KB) zu diesen Rocketcams steht nun aber, das diese Kameras auch das europäische Videosystem PAL beherrschen. PAL bietet gegenüber NTSC ein paar (zugegeben geringe) aber entschiedende Vorteile. Erstens ist die Auflösung in der Höhe größer, PAL arbeitet mit einer Auflösung von 720x576 Pixel. Das wären schonmal 20% mehr Pixel. Immerhin. Und ein weiterer Vorteil, der nur Leuten auffällt, die sich mit Videobearbeitung auseinander gesetzt haben: Das NTSC-Format 720x480 für ein normales Bild im 4:3-Format erzeugt Einzelbilder, deren Seitenverhältnis nicht stimmt, denn bei der NTSC-Auflösung ergibt sich ein Verhältnis 3:2, wenn man von quadratischen Pixeln ausgeht.

Zum Vergleich - was habe ich denn an alten 4:3-Bildmaterial gerade greifbar auf der Platte? Hier ein Bild einer alten "Joachim Bublath"-Folge, ausgestrahlt in 4:3-Format:




 Man sieht deutlich, im NTSC-Format wird der Moderator plötzlich dicker, und das runde ZDF-Logo wird auch gequetscht. Aus den bisherigen Grail-Bilder habe ich nun welche ausgesucht, welche einer der beiden Kameras in Nadir-Ausrichtung, also der direkten "Draufsicht" von einen möglichst grossen runden Krater zeigt, ein Beispiel:



Auch wenn es nicht so sehr auffällt, aber ich habe ca. ein halbes Dutzend grosser, runder Krater überprüft. Alle sind breiter als hoch.

Videobilder im Interlaced-Format. Das ungeeignetste, was man nehmen konnte.

Schlimmer noch, vorhin erwähnte ich doch, das die GRAIL-Kameras noch Bilder in Interlaced-Format übertragen. Das ist - wie schon gesagt - ein uraltes Verfahren für die allerersten Röhrenfernseher. Wie sich das auf Videoübertragungen heute auswirkt, sieht jeder, der  via DVB-T (geringere Bandbreite als Satellit- oder Kabelfernsehen) z.B. mal bei einen Fussballspiel mit schnellen Schwenks auf den Hintergrund gesehen hat.

Das die Bilder im Interlaced-Modus übertragen wurden, sieht man bei Kontrastreichen Bereichen der Grail-Bilder überdeutlich:

4-fache Vergrösserung (Sonst nichts verändert!) eines Ausschnites von Bild #51 (Emily Dickinson Elementary School) BMP-Format

Diese horizontalen Muster entstehen dadurch, dass durch die Bewegung der Sonde und den interlace-Übertragungsformat zuerst die einen Zeilen der des Bildes übertragen werden - die Sonde bewegt sich etwas weiter und manche Helligkeitsbereiche varrieren leicht - und dann werden die übriggeblieben Zeilen übertragen.

 Ein Bild sagt mehr als lange Sätze: 
So funktioniert "interlaced" 
Quelle: Wikipedia

Laut Datenblatt können die Kameras nur in Interlaced-Mode Bilder übertragen, da hat man also schon mal den falschen Kameratyp gewählt. Ich habe bei der NASA nachgefragt und vorgeschlagen, doch nachträglich wenigstens auf das PAL-Format umzuschalten, aber das sei jetzt nicht mehr möglich. Schade, zeigt aber auch wie "nebensächlich" dieses Schulprojekt bei der NASA behandelt wurde. Normalerweise ist es bei der Raumfahrt üblich, auch im Betrieb Software und Einstellungen nachträglich ändern zu können, z.B. weil ein System ausfällt. Offenbar hat man es versäumt, bei den Kamerasystemen ein nachträgliches Update oder Ändern der Parameter zuzulassen. Oder - was ich für wahrscheinlicher halte - man hat niemals sowas in Erwägung gezogen, "Die Firma liefert uns ein fertiges, geschlossenes System, das wir bei Raketenstarts seit Jahren erfolgreich verwenden. Es wird schon alles stimmen..."

Bei der NASA hat man einfach die gelieferten Kameras genommen, getestet ob sie funktionieren und mit den - für Amerika üblichen Standardeinstellungen (NTSC interlaced)  - kompatibel zum ältesten Röhrenfernseher aber für wissenschaftliche Auswertung schlichtweg unbrauchbar - in die Sonden verbaut. Auf meine Nachfrage wurde übrigens auch gesagt, dass man nach der Mission in einer Post-Production die Bildfehler beseitigen und das Seitenverhältnis korrigieren will. Das hätte man sich sparen können, wenn man die Kameras mit vernünftigen Parametern programmiert hätte oder besser noch, gleich vernünftige Kameras eingebaut hätte. Denn überhaupt. Videokameras statt ordentlicher Einzelbildkameras einzubauen und danach von den Videoaufzeichnungen einzelne Standbilder zu übertragen, ist schon eine grundlegende Fehlentscheidung.

Man wird sich bei der NASA wohl gedacht haben "Für die Schüler wird´s schon reichen". Oder noch schlimmer: Man wusste ganz genau, für die Wissenschaft sind diese Kameras unbrauchbar, also "schenken" wir sie den Schülern.

Alles was ich also in vorhergehenden Beiträgen geschrieben habe (In der Raumfahrt werden Schwarzweiss-Kameras mit Farbfiltern davor benutzt, immer auf den verwendeten Farbfilter achten etc) trifft auf die Videokameras von Grail nicht zu. Sie sind wirklich nur "Beiwerk", bei dem die NASA wohl sehr beiläufig bis lieblos gehandelt hat.

Als Heranwachsender war ich immer enttäuscht, wenn man mir "Wissenschaft" vermitteln wollte und es nur Spielzeug statt Brauchbaren gab - z.B. ein "Spielzeugmikroskop", das zwar wie ein echtes Mikroskop aussah, aber keine vernünftigen Bilder erzeugte und dessen Plastiklinsen schon beim Anschauen Kratzer bekamen. Danach hatte ich keinen Bock mehr auf Mikroskopie. So vergrämt man Kindern eher das Streben nach Wissen und Forschen.

Was ist mit Alien-Basen auf den Mond? 
Oder abgestürzten Raumschiffen auf den Mond?

Insgeheim hoffte ich bei evtl. aufkommenden "Alien-Basis-auf-den-Mond"-Diskussionen auf die Bilder von Grail verweisen zu können. Dann hätte ich denjenigen nämlich gesagt:

"Sag, Du seist der Klassensprecher der Schulklasse 8b. Du seist so unendlich traurig, dass das MoonkamProjekt eigentlich nur für USA-Schulen gedacht ist, aber bitte, bitte, liebe NASA, ihr macht in Physik gerade den Mond durch und sende der NASA die Koordinaten. Das schreibst Du am besten einfach auf deutsch direkt an Jesco von Puttkamer und dann machen die für Dich nochmal eine neue, exklusive Aufnahme"

:-D

Das hätte ganz bestimmt geklappt, denn die Bilder werden so oder so gemacht, ganz egal ob sich eine Schulklasse meldet oder nicht. Denn die NASA wird ganz bestimmt nicht für eine Schulklasse die Sonden auf einen anderen Kurs umlenken. Man sammelt dort die Daten, denn Grail soll ja den gesamten Mond auf Gravitationsanomalien erforschen.  Und wenn die Bilder von Grail da sind, dann wird man sie in einer Galerie präsentieren.

Aber mit den Bildern in dieser miesen Qualität wird das nichts mit meiner Zweckentfremdung für die "Alien-Moon-Base"-Fans. Das sieht dank Zeilensprungverfahren (aka interlaced) ja so aus, als wenn die Aliens ein mondumspannendes, dichtes Schienennetz verlegt hätten. Und die anderen Artefakte, die man in den Bildern findet. Ohjeohje. Grail könnte einer der Lieblingsmissionen für UFO-Freaks werden.

Immerhin lernen die Kinder aber vielleicht so etwas über Artefakte, diesmal nicht durch Kompression, sondern durch falsch eingesetzte Videotechnik.

3 Kommentare:

  1. Schienennetz? Völlig logisch, ohne spezielle Schienen würden die Waggons ja abheben wegen der geringen Schwerkraft.

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  2. wie immer ausführlich ohne ende und wahnsinnig viel arbeit. du machst hier einen tollen job, nur sind es leider perlen vor die säue. fakten interessieren die sauberer-himmel-groupies kein stück.

    ich habe bei mir selbst gemerkt, dass meine artikel irgendwann kürzer und stumpfer wurden, weil die zielgruppe schlicht zu tumb ist und ich mich irgendwann nur noch auskotzen wollte. bis ich dann entschieden habe, dass endgültig schluss ist.
    ich wünsche dir mehr durchhaltevermögen - auch wenn ich nicht glaube, dass außer denjenigen, die ohnehin eine gewisse bildung erfahren haben, deine artikel wirklich durchlesen und verstehen. es ist die zeit der youtube-videos mit dramatischer filmmusik im hintergrund. wie wäre es mit einem dementsprechend zurechtgebastelten aufklärungsvideo? hier kann man sich bzgl. der "richtigen" mucke inspirieren lassen:
    http://www.youtube.com/watch?v=rLc1RVxoTIk "epic" - yeah!! *rock* :-D

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  3. Danke für die Infos zu den verwendeten Kameras.

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